Wussten Sie schon, dass Sexualität zur Persönlichkeit gehört und Menschen mit Behinderung keine Ausnahme sind?
Wussten Sie schon…. Sexualität gehört zur Persönlichkeit eines Menschen – Menschen mit Behinderung sind da keine Ausnahme
Menschen mit geistiger Behinderung sind ebenso verschieden und auch in ihrer Sexualität so einmalig geprägt wie alle anderen Menschen. Den „typischen“ Menschen mit geistiger Behinderung gibt es nicht, und auch zur Sexualität von Menschen mit geistiger Behinderung kann nichts ausgesagt werden, was für alle gleichermaßen zutrifft. Aufgrund der Forschungsergebnisse der letzten Jahrzehnte steht lediglich eines fest: Die sexuelle Entwicklung ist für Menschen mit geistiger Behinderung ebenso bedeutungsvoll wie für jeden anderen Menschen.
Im Grundgesetz Artikel 2 steht: „Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“ Artikel 3 des Grundgesetzes stellt fest: »Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden«.
Gerade behinderte Jugendliche, die sich verbal nicht gut oder gar nicht ausdrücken können, teilen sich dann über ihre Körpersprache mit, indem sie die angehimmelte Person umarmen, küssen, streicheln, was nicht immer auf Gegenliebe stößt. Pädagoginnen und Pädagogen oder Eltern sollten mit den Jugendlichen die geschicktere Kontaktaufnahme besprechen und üben: „Wie zeige ich jemandem, dass ich ihn mag? Wo darf ich jemanden anfassen?“, „Wo darf mich jemand anfassen?“ Spätestens mit elf Jahren – besser früher – sollten Heranwachsende über bestimmte Körpervorgänge aufgeklärt sein.
Viele Eltern erwachsen werdender Kinder denken mit einigem Schrecken an die Pubertät ihrer Kinder. Das mag die Eltern von Kindern mit geistiger Behinderung trösten: Eigenwilligkeit, Trotz, heftige Auseinandersetzungen mit den Eltern, Nachlässigkeiten in der eigenen Körperhygiene und bei der Kleidung oder seltsame Geschmacksverirrungen sind keineswegs auf Jugendliche mit geistiger Behinderung beschränkt. Sie sind vielmehr typisch für alle Pubertierenden. Die Heranwachsenden mit geistiger Behinderung können die Veränderungen ihres Körpers nicht einschätzen. Hände und Füße wachsen zuerst, die Proportionen stimmen nicht mehr, Haut und Haar (und bei Jungen zusätzlich Bartwuchs und Stimmbruch) machen Probleme. Darüber hinaus kommt es durch die verstärkt einsetzende Hormonproduktion zu extremen Stimmungsschwankungen. Die Jugendlichen, die aufgrund ihrer Behinderung oft über ihre Defizite definiert worden sind, denken: „Da stimmt schon wieder etwas nicht mit mir!“ und sind unglücklich und unzugänglich.
Während die körperliche Entwicklung im Allgemeinen altersentsprechend verläuft, ist die seelisch-geistige Entwicklung meistens verlangsamt. Die körperliche Reife entspricht meist nicht der affektiven und emotionalen Entwicklung und den Möglichkeiten der intellektuellen Verarbeitung.
Gerade Menschen mit geistiger Behinderung müssen deshalb öfter und in regelmäßigen Abständen erklärt bekommen, worum es geht.
Leider ist in diesem Zusammenhang auch das Thema Missbrauch nicht wegzudenken.
Mein Körper gehört mir!
In den Kriminalstatistiken werden Vergewaltigung und sexuelle Nötigung von Menschen mit geistiger Behinderung nicht gesondert erfasst. Kriminologen gehen aber davon aus, dass die Zahl sexueller Übergriffe auf behinderte Menschen höher ist als auf nicht Behinderte. Eine repräsentative Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) zu Gewalt an behinderten Menschen bestätigt das hohe Ausmaß der Gewalt, insbesondere der Missbrauchserfahrungen in Kindheit und Jugend. Zum einen sind viele Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene mit geistiger Behinderung daran gewöhnt, dass über ihren Körper verfügt wird – bei der Pflege, beim Baden, An- und Ausziehen. Viele von ihnen können nicht abschätzen, was zur normalen Alltagshandlung gehört und was übergriffig ist. Dazu gehört auch, dass sie nicht gezwungen werden dürfen, sich von der Tante küssen und vom Onkel auf den Arm nehmen zu lassen, wenn sie das nicht wollen – selbst wenn Tante und Onkel eventuell beleidigt reagieren. Spezielle Selbstverteidigungs- und Selbstbehauptungskurse für Menschen mit Behinderung können ebenfalls ein Weg sein, zu lernen, wie man sich in heiklen Situationen verhält, wie man sich wehrt, wie man sich Hilfe holt und wie man »Nein« sagt.
Dieser Beitrag stammt von Katrin Keimer, Praxis für Ergotherapie in Gladbeck.